Portrait "Ricarda Kießling" - Allein unter Männern
31.10.2012
Die Nördlinger B-Junioren samt Trainerteam schauen anerkennend auf ihre prominente Teamkollegin Ricarda Kießling, die bei der U17-Weltmeisterschaft in Aserbaidschan Aktivposten der deutschen Nationalmannschaft war und sogar zwei Tore erzielte. | |
U17-Fußballnationalspielerin Ricarda Kießling berichtet von sich und ihren Erlebnissen bei der WM in Aserbaidschan Von Sebastian Musolf
Das einzige Mädchen unter rund 30 Jungs in ihrer Fußball-Mannschaft zu sein – damit hat Ricarda Kießling kein Problem. „Ich hab mich an die Männer gewöhnt, ich spiele ja schon immer bei den Jungs“, erzählt die 16-Jährige und lächelt. Seit vergangenem Jahr spielt die U17-Frauen-Nationalspielerin in der B-Jugend des TSV Nördlingen – dank einer Ausnahmeregelung bei den Jungs in der Bezirksoberliga. Nachdem sich der Trubel der WM in Aserbaidschan gelegt hat, erzählt die junge Baldingerin den Rieser Nachrichten von sich und ihren Erlebnissen.
Bevor sie ihre Leidenschaft für Fußball entdeckte, ging Ricarda seit ihrem vierten Lebensjahr zum Kunstturnen. „Ich habe dann später immer mit meinen Brüdern im Garten gekickt und bin dann mal mit zum Training gegangen“, berichtet Ricarda. Als Achtjährige fing sie mit dem Fußballspielen beim SC Nähermemmingen-Baldingen an. „Das Leichtathletische und Kämpferische liegt mir. Das hat mir mehr Spaß gemacht als Turnen“, sagt die junge Stürmerin. Als Zehnjährige hörte sie mit dem Turnen auf und konzentrierte sich voll und ganz aufs Fußballspielen.
Beim Länderpokal in Duisburg von den DFB-Trainern berufen
Dank ihres Talents schaffte es Ricarda, für die Bayernauswahl nominiert zu werden. Die große Chance für die damals 13-jährige Baldingerin, sich für die deutsche U15-Nationalmannschaft zu qualifizieren, kam im Frühjahr 2010. „Ich bin mit der Bayernauswahl im Länderpokal in Duisburg angetreten. Da waren auch Trainer vom DFB dabei“, erzählt sie. Nach dem Turnier habe sie auf der Rückfahrt im Bus von ihrer Trainerin erfahren, dass sie in die U15-Nationalmannschaft berufen wird – da war die Freude groß. „Ich hab gar nicht damit gerechnet, ich war auch noch recht jung. Außerdem haben wir im Turnier relativ schlecht abgeschnitten. Da war ich schon sehr überrascht“, erinnert sich Ricarda und lacht. Noch aus dem Bus habe sie ihre Eltern in Baldingen angerufen und ihnen die tolle Neuigkeit mitgeteilt. Ihr erstes Länderspiel führte Ricarda nach Norwegen. Mittlerweile hat sie auch schon in den USA, Israel oder Schottland Spiele bestritten. Ihr erstes großes internationales Turnier war der Nordic Cup in Norwegen im Juli dieses Jahres.
Aber der bisherige Höhepunkt ihrer Karriere als Nationalspielerin war ganz klar die U17-Frauen-Weltmeisterschaft in Aserbaidschan im Oktober, bei der das deutsche Team Vierter wurde. Aserbaidschan sei ein Land der Gegensätze: „In der Hauptstadt Baku sah alles ordentlich aus, aber außerhalb gibt es Leute, die keine richtigen Häuser haben und in Barackensiedlungen leben müssen“, erzählt sie.
Bei der WM in Aserbaidschan zwei Tore erzielt
Bei der WM glänzte die junge Baldingerin als Joker: In der Gruppenphase versenkte sie nach ihrer Einwechslung beim 5:2-Sieg gegen Uruguay das Leder im Netz. Und im Gruppenspiel gegen China gelang ihr als Eingewechselte buchstäblich in der letzten Sekunde ihr bislang wichtigstes Tor (94. Minute) – der 1:1-Ausgleich war wichtig fürs Weiterkommen im Turnier. „Am Anfang ist man schon etwas enttäuscht, dass man nicht von Beginn an spielt. Aber wenn man eingewechselt wird, ist man sehr froh, dass man spielen darf und gibt alles“, berichtet Ricarda. Besonders das Spiel um Platz drei gegen Ghana sei ihr besonders in Erinnerung geblieben. „Es war sehr schade, dass wir so knapp den dritten Platz verpasst haben. Aber ich war froh, dabei zu sein.“
Zwei Lehrer im Auftrag des DFB bei der WM dabei
Für das Turnier stellte ihre Schule, das Nördlinger Theodor-Heuss-Gymnasium, Ricarda vom Unterricht frei. Damit die jungen Spielerinnen nicht zu viel Stoff verpassen, reisten zwei Lehrer im Auftrag des DFB mit nach Aserbaidschan. „Die Themen wurden mit unseren Lehrern daheim abgesprochen. Jeder erledigte dort seine Aufgaben ziemlich selbstständig.“ Doch während der Spiele blieb wenig Zeit für Unterricht. „Ich habe in den letzten Wochen viel Unterrichtsstoff nachholen und selber aufarbeiten müssen“, erzählt die Gymnasiastin. Der DFB achte zudem darauf, dass die Balance zwischen Schule und Sport stimme: „Wir müssen regelmäßig unsere Zeugnisse vorlegen.“
Während des WM-Turniers habe Ricarda ihre Familie in Baldingen schon vermisst – doch täglich standen sie via Internet in Kontakt. Viele Freunde drückten ihr die Daumen und schrieben ihr über Facebook. Bei der WM hatte sie am meisten Kontakt zu den französischen Spielerinnen – diese gewannen das Finale gegen Nordkorea. „Ich habe einer der Spielerinnen danach übers Internet geschrieben und ihr gratuliert“, erzählt Ricarda. Am meisten beeindruckt war die 16-Jährige von den Brasilianerinnen: „Sie sind einfach sehr gute Techniker.“
Das WM-Team wird in Zukunft nicht mehr in der gleichen Zusammensetzung spielen, da Ricardas ältere Mitspielerinnen teilweise in die U19-Auswahl wechseln. Die Baldingerin bleibt im U17-Team. „Jetzt wird wieder neu gesichtet und beurteilt. Die Leistung muss immer stimmen, wenn man weiterhin in der Nationalmannschaft spielen will.“ Eine besondere Freundschaft verbindet Ricarda mit Team-Kollegin Franziska Jaser von der TSG Thannhausen, die ebenfalls in der U17-Mannschaft verbleibt. „Wir beide spielen schon seit der U13-Bayernauswahl zusammen“, erzählt Ricarda.
Nach ihrer Rückkehr ins Ries haben sie öfters Mitschüler und Lehrer auf ihre WM-Teilnahme angesprochen. „Es sind hauptsächlich Bekannte, die mich danach fragen. Manche wollten aus Spaß ein Autogramm von mir“, erzählt die 16-Jährige schmunzelnd.
Eine schwere Entscheidung für Ricarda war die Absage ihrer Teilnahme an der U17-Europameisterschaft in der Schweiz im Juli dieses Jahres. „Ich hatte zu der Zeit meine Abschlussprüfungen an der Realschule. Es war einfach organisatorisch nicht möglich zu spielen.“ Ihr Rückzieher sei ihr sehr schwer gefallen. „Man will unbedingt dabei sein, aber gleichzeitig nicht die Prüfungen verpassen und das Schuljahr wiederholen.“ Eine Zwickmühle. Letztlich wurde das deutsche Team Europameister. „Da hätte ich schon gerne mitgespielt. Aber ich war auch froh, dass ich meine Prüfungen bestanden hatte.“ Ihren Teamkolleginnen habe sie nach dem Sieg gratuliert – sie mussten ihr natürlich alles erzählen. Nächstes Jahr findet erneut die Europameisterschaft statt, die Qualifikationsrunde dazu fängt in Kürze an.
Mit 17 muss sie in ein reines Frauenteam wechseln
Ricarda Kießling möchte weiterhin gerne in der Nationalmannschaft spielen. Es sei schon etwas Besonderes, das DFB-Trikot tragen zu dürfen. „Ich schaue mal, wie es weitergeht. Ich hoffe, mithalten zu können und nicht verletzt zu werden.“ Wenn sie nächstes Jahr 17 wird, darf sie aber nicht mehr in einer gemischten Mannschaft spielen, sondern muss in ein reines Frauen-Team wechseln. Infrage kämen dabei sämtliche Bundesligavereine, wie zum Beispiel der FC Bayern München.